Für drei Dinge ist Beelitz bekannt. Spargel, verlassene Lungenheilstätten und Winterstiefel. Die letzten sind eher eine Privatangelegenheit, aber dazu später. Im Sommer sind die Beelitz-Heilstätten wie der Angkor Wat des Ostens. Sie stehen Mitten im Wald und sind vom Verfall akut bedroht. Das grün und braun angesetzte Fachwerk der Villen ist morsch. Der Naturputz hat sich verfärbt und hier und da tropft vom Dach ein ewiges Rinnsal. Die unteren Fensterreihen wurden gegen Vandalierer mit Holzplatten verriegelt. Doch in den oberen Stockwerken rauschen die Fenster dunkel und gespenstisch.
Beelitz-Heilstätten wurden zwischen 1898 und 1930 von der Landesversicherungsanstalt Berlin errichtet. Einfache Arbeiter sollten sich hier gegen Tuberkulose behandeln lassen. Die Heilstätten liegen verkehrsgünstig und ruhig, weit von Berlins Industriesmog entfernt.
Wir wandern durch das grüne Licht der Waldwege, vorbei am Haus für ledige Ärzte. Hinter den Meterhohen Tannen liegt die Lungenheilstätte für Männer. Es ist eine prächtige Villa mit großen Fenstern zur Südseite. Sie hat Erker und verspielte Giebel und Dachlaternen. Und von Innen erinnert sie eher an ein Kasino irgendwo in Südfrankreich, als an ein Krankenhaus: Blaue Wände, Kolonnen und aufgemalte gelbe Palmen.
Moralisch korrekt liegt am entgegengesetzten Ende des Areals das Frauensanatorium. Doch die Moral wurde von gesunden Menschen erfunden und hat mit der Wirklichkeit eines Kranken nur wenig zu tun. Tuberkulose war eine verheerende Volkskrankheit und endete in den meisten Fällen tödlich.
Wenn jemand weiß, dass ihm nur eine bestimmte Zeit verblieben ist, der möchte keine Gelegenheiten mehr verpassen. Sanft scheint die Sonne auf die farblose Holzwand eines Pavillons. Und wir stellen uns vor wie sich unter seinen Jugendstilbögen heimlich Pärchen trafen. Sie saßen in den violetten Nachmittagen und ihre Herzen schlugen schneller und etwas pfiff und keuchte aufgeregt und verräterisch in ihrer Brust.
Das Frauensanatorium wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. „Havariertes Gebäude nicht betreten“ und „Lutsch meinen Schwanz“ steht in kyrillischen Buchstaben auf seiner roten Fassade.
Sowjetische Truppen nutzten die Beelitz Heilstätten während des kalten Krieges als Kasernen und Militärhospital. Sie verklebten Blumentapeten und stellten vor der Einfahrt auf das Gelände ein Denkmal auf. Es ist ein Soldat in Uniform und mit Gewähr. Er trägt einen Helm und die Stiefel sind ihm viel zu groß. Apropos Stiefel. Irgendwann in den 80ern erwarb meine Mutter auf dem Schwarzmarkt in St. Petersburg ein Paar Winterstiefel. Ein braunes, butterweiches Leder und eine leichte Sohle „made in GDR“.
Als sowjetische Truppen aus Beelitz abzogen, plünderten sie alles, was auf ihrem Weg lag. Im Grunde plünderten die Soldaten in ganz Deutschland, nicht nur in Beelitz.
Die Stiefel waren teuer, aber die Verkäuferin, eine alte Frau mit wässrigen Augen und unordentlichem Haar versicherte, dass sie ein Leben lang halten würden. Und das taten sie auch. Als wir nach Deutschland auswanderten kehrten die Stiefel in einem Karton, sorgfältig mit Zeitschriften ausgestopft in ihre Heimat zurück. Sie liegen immer noch irgendwo im Keller. Dort, wo all der Kram lagert, der uns durch das Leben bringt und von dem wir uns nur so schwer trennen können.
Mehr Bilder zu Beelitz-Heilstätten gibt es hier.
Text/Bilder ©Anna Livsic
#Beelitz Heilstätten-Familiengeschichten
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