Was ich am meisten auf der Welt hasse ist Pseudokultur. Nirgendwo ist diese Erscheinung mehr zu sehen als im Olympischen Dorf bei Berlin. Im Grunde ist das Dorf eine Geisterstadt, mit Plattenbauten und architektonischen Klassikern aus der NS-Zeit. 1936 wurden hier während der olympischen Sommerspiele circa 3600 männliche Athleten mit Betreuern und Personal untergebracht. (Die 330 Athletinnen wohnten am Reichssportfeld, am Olympischen Stadion.) Nach der Beendigung der olympischen Spiele wurde die gesamte Anlage für militärische Zwecke genutzt. Deutsche Kampftruppen waren hier und machten aus dem Speisehaus der Nationen das Olympialazarett. Später war die sowjetische Armee im Olympischen Dorf stationiert und hinterließ bis zu ihrem Abzug 1992 gewaltige Spuren.
Heute kümmert sich die DKB-Stiftung für gesellschaftliches Engagement um den Erhalt des historischen Olympischen Dorfes. Es gibt ein kleines Eintrittsgeld, geregelte Öffnungszeiten und Wachpersonal. Der Rasen ist frisch gemäht und leuchtet smaragdgrün. Die Gehwege wurden sorgfältig gefegt. Wer die große Allee entlang spaziert fühlt sich ein wenig wie im Disneyland. Oder im Film „The Truman Show.“ Jederzeit könnte ein Scheinwerfer vom Himmel fallen und die konstruierte Wirklichkeit würde sichtbar werden.
Und als ich die Hoffnung beinahe aufgegeben habe ein authentisches Stück Geschichte zu erleben, mit allen Schrammen und Spuren der Weltgeschichte, hat sich der „Truman-Scheinwerfer“ losgelöst. Die alte Schwimmhalle ist noch nicht dem Dekorationswahn der Preudokultur zum Opfer gefallen.
Die alte Schwimmhalle Sie nach Staub, Zement und Nelkenseife. Das Sprungbrett ist verrostet und mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Obwohl die Schwimmhalle schon mal brannte und danach sorgfältig saniert wurde, scheint an ihr alles echt. An der Wand im Eintrittsbereich habe ich eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht. Es ist ein Spruch in kyrillischen Lettern, den sich die Russen sich nach Banja oder einer heißen Duschprozedur wünschen. Der Spruch lässt sich nicht mal ansatzweise sinngemäß übersetzen und das ist auch gut so. Dadurch entstehen noch mehr Geheimnisse und Mythen. Und sie sind genau das, was solche Orte ausmacht. Ich wünschte, das gesamte Olympische Dorf wäre so echt und wunderschön wie diese Schwimmhalle. Dann würde ich mit Sicherheit wiederkommen.
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