Zehn Jahre sind nach dem Tsunami im indischen Ozean vergangen. Zehn Jahre ist eine lange Zeit. Doch um die Zeit geht es nicht. Es geht darum, was aus all den Menschen geworden ist, die diese schreckliche Welle überlebt haben. Ich habe viele fantastische Geschichten gehört. Eine davon hier in Arugam Bay.
Die Fischer erzählen, dass das Meer in nur wenigen Minuten so weit zurückgegangen war, dass sie die Fische mit bloßen Händen vom Grund geholt haben. Doraden, so bunt wie ein Regenbogen, Barsche und kleines Meeresgetier, für das es keine Übersetzung gibt. Touristen gab es fast keine im Dorf, weil sie zur Regenzeit auf der anderen Küste urlauben.
Arugam Bay hat viel zu bieten. Viel für die, die das Wenige schätzen. Kein Neonlicht, keine Fastfoodketten und nur eine asphaltierte Strasse.
Vor dem Tsunami war es hier wohl genau so. Die ersten Touristen kamen in den Siebzigern. Es waren Surfer aus Japan. Arugam Bay hat viele Spots und einfach perfekte Wellen. Das Dörfchen wuchs und blieb dennoch klein. Bambushütten am Strand, eine Hängematte statt Hotelbett. Ein Paradies.
Wo warst du als der Tsunami kam, frage ich Saif, meinen Tuk-Tuk Fahrer. Er ist schmal und drahtig und ich kann nicht wirklich sagen wie alt er ist. Am frühen Morgen war er Zuhause, sagt er. Dann fuhr er zum Markt und dann zurück. Das Meer war ruhig und das Wasser silbern. Keine einzige Welle. Ich weiß nicht mehr genau was ich gemacht habe, ich weiß nur, wie ich die Welle von der Straße sah. Sie war größer als diese Palmen. Und er zeigt auf eine Palme, die mindestens 15 Meter hoch ist.
Saif erzählt mit einer ruhigen Stimme. Mit einer ruhigen Hand zündet er sich eine Zigarette an. Sein Tuk-Tuk rattert. Es ist ein seltsames Gefährt, das jegliche Gesetze der Schwerkraft überlistet. Wir krakseln einen Berg hoch, fahren dann an einer Lagune vorbei. Diese Lagune gab es vorher nicht, sagt Saif. Sie kam nach dem Tsunami. Viele Tote sind auf ihrem Grund. Mensch und Tier. Sogar Elefanten.
Ein Elefant ist das inoffizielle Wahrzeichen von Sri Lanka. Hier im Osten gibt es sehr viele von ihnen. Besonders in Arugam Bay. Der Dschungel ist hier überall. Jaguare leben dort. Aber sie sind scheu. Die Elefanten weniger. Wir sehen sie am Abend, wenn die Sonne nicht mehr so stark ist. Sie grasen an einer Lichtung. Dann sehen wir sie ganz nah und machen uns vor Ehrfurcht und Glück fast in die Hose.
Was hast du also gemacht, als der Tsunami kam, frage ich Saif. Ich bin gerannt. Und dann geschwommen. Ich habe mir ein Bein und ein Arm gebrochen. Dann habe ich es doch noch auf den Hügel geschafft. Meine Eltern nicht mehr. Das ist meine Geschichte. Hier im Ort gibt es keine Familie, die keine Opfer zu beklagen hat.
Old Arugam Bay, wie die Einheimischen ihren Ort nennen, wurde völlig zerstört. Zerstört ist vielleicht das falsche Wort. Ausradiert.
Heute, zehn Jahre später, erinnert fast nichts mehr an diese Katastrophe. Die Fischer fischen, die Tuk-Tuk Fahrer feilschen, die Surfer surfen. Russische Touristen schieben sonnenverbrannte, dicke Bäuche vor sich. Und ich frage mich, warum sie nicht im Stande sind sich eine ordentliche Badehose zu besorgen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses Schiffswrack habe ich durch Zufall in Matara entdeckt. Sein Besitzer ist einer der Fischermänner auf dem Photo. Er war bereits am frühen Vormittag sturzbetrunken. Wie er den Tsunami überlebt hat, konnte er mir nicht erzählen.
Text/Photos © Anna Livsic
# Sri Lanka-10 Jahre nach dem Tsunami